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Jahresrückblick: Telematikinfrastruktur (TI) und elektronisches Rezept (eRp)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Jahr 2023 neigt sich seinem Ende zu, in der berufspolitischen Rückschau war es sicher - vorsichtig ausgedrückt - ein problematisches Jahr.

Es gibt eine kleine Gruppe von Gewinnern unter uns, eine große schweigende Mehrheit, die von den administrativen Vorgaben frustriert versucht, so gut es geht, den Praxisalltag zu bestreiten und es gibt eine immer größer werdende Anzahl von Ärztinnen und Ärzten, die von Bestimmungen und gesetzlichen Anordnungen desillusioniert und enttäuscht „den Bettel hinwirft“ und aus der kassenärztlichen Versorgung aussteigt, sei es in die Rente, sei es in die Privatpraxis.

Den meisten von uns - so erfahren wir es immer wieder in Gesprächen - macht es nach wie vor große Freude, die eigene Profession in eigener Praxis zu betreiben. Deshalb suchen wir vom BFAV stets Wege, die es uns ermöglichen, unsere medizinischen Fachangestellten auskömmlich zu bezahlen, unsere Patienten mit der gebotenen ärztlichen Sorgfalt zu untersuchen und zu behandeln und unsere Praxen weiterhin mit Gewinn zu betreiben.
In der vergangenen Wahl-Periode der KVB verbreitete der Vorstand der KVB den Slogan: „Das ist gut, was den Praxen nützt (und das unterstützen wir), das ist schlecht, was den Praxen schadet (und das sollten wir lassen). Der gute Vorsatz wurde leider schon nach wenigen Jahren ad acta gelegt, weil die KV viele gesetzliche Bestimmungen umsetzen (musste), die den Praxen schadeten, das Honorar minderten oder den ungestörten Praxisablauf zunehmend hemmten.
In Worten wird diese Tatsache immer wieder beklagt, KV-Chef Gassen von gestern: „Die Kassenärzte baden die Folgen einer insgesamt schlecht gemachten Digitalisierung aus, für die sie auch noch abgestraft werden, obwohl sie die technischen Umsetzungen nicht zu verantworten haben“. In Taten wird diese unzulängliche Digitalisierung aber unvermindert sanktionsbewehrt von der KV durchgesetzt.

Ab 1. Januar 2024 soll nun das E-Rezept nach den Plänen von Gesundheitsminister Lauterbach flächendeckend in Deutschland eingeführt werden. Lauterbach dazu: „Ich rechne fest damit, dass das E-Rezept 2024 Standard wird. Rund zehn Millionen E-Rezepte seien bis jetzt eingelöst worden. Für den Einstieg sei das ausreichend. Am Anfang wird es noch ein paar Schwierigkeiten geben, aber im Großen und Ganzen ist das Rezept bereit… Außerdem sind die Ärzte verpflichtet, E-Rezepte auszustellen, und die Infrastruktur ist vorhanden. Auf die Frage, was passiere, wenn Ärzte das E-Rezept nicht umsetzten, fällt die Antwort des Ministers eindeutig aus: Dann wird es zu Sanktionen kommen müssen“.

Und da haben wir sie wieder: Die Sanktionspolitik. Kann man so unser Gesundheitswesen gestalten? Wir vom BFAV meinen – nein!

Das E-Rezept (eRp) wird viele Probleme mit sich bringen, Probleme, die wir heute noch nicht alle vollumfänglich absehen können. Das größte Problem wird sein, dass das eRp den ungestörten Praxisablauf behindern wird. Während das analoge Rezept 5 Sekunden Arzt-Zeit und 10 Sekunden Helferinnen-Zeit benötigt, veranschlagt das eRp ein Vielfaches dieser Zeit. Bisher hat das System nicht unter Volllast gearbeitet, trotzdem verlängerte das Ausstellen von eRp die Arbeitszeit von Ärzten und medizinischen Fachangestellten deutlich. Wenn ab 1. Januar mehrere Millionen Rezepte pro Tag ausgestellt werden, wird die Zeit für das Ausstellen der eRp mit hoher Wahrscheinlichkeit noch deutlich länger, vielleicht wird auch das Gesamtsystem überlastet sein und ausfallen.

Die ärztliche Sorgfaltspflicht gebietet es uns - so die Meinung von Medizinrechtsexperten – jedes Rezept, das wir signieren (unterschreiben) auf Richtigkeit zu kontrollieren. Dies darf nicht an die medizinischen Fachangestellten delegiert werden. Eine unkontrollierte Stapel- Signatur widerspricht ebenfalls der ärztlichen Sorgfaltspflicht.

Nützt das eRp der Praxis? Wenn es den Praxisablauf stört, die Behandlungen verlängert und damit das Honorar mindert, dann wohl keinesfalls.

Nützt das eRp den Patienten? Wir sehen für den normalen Patienten keine Nutzen, es sei denn, es ist ein Nerd, der lieber aus Bequemlichkeit an seinem PC sitzen bleibt, als dass er sich in die Arztpraxis oder in die Apotheke begibt.

Nützt das eRp den Apotheken? Dazu hat der Deutsche Apothekerverband kurz vor Weihnachten einen Brandbrief veröffentlicht. In dem Brief fordert die stellvertretende ABDA-Vorsitzende, Claudia Korf, deutliche Nachbesserungen, in erster Linie eine bessere Datenqualität der E-Rezepte. Demnach ließen die FHIR-Verordnungsprofile weiterhin zu viel Interpretationsspielraum. Auch der Einsatz von Freitextfeldern müsse minimiert werden.... 

Ein weiterer großer Kritikpunkt betrifft die Verfügbarkeit technischer Dienste und deren Support. Immer wieder komme es zu Ausfällen der Telematikinfrastruktur (TI).

Für Wartung und Updates werden die E-Rezept-Server ersatzlos heruntergefahren. So kann es vorkommen, dass man in Notdienst gerade noch ein E-Rezept vom Arzt bekommt, aber man es nicht in der Notdienstapotheke einlösen kann, weil die E-Rezept-Server down sind und das Rezept somit nicht gelesen werden kann. Hieraus können sich ernsthafte Folgen für Gesundheit und Leben ergeben. Zwar sehr selten, aber technisch vermeidbar. Quelle: https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/e-rezept/kein-e-rezept-am-dienstagvormittag/

Schon vor Monaten haben Experten bemängelt, dass es beim E-Rezept keine Volllasttests gegeben hat. Mit steigender Zahl der täglich ausgestellten und eingelösten E-Rezepte zeigten sich laut Korf "leider auch häufigere Ausfälle zentraler Komponenten." Besonders betroffen seien aktuell Dienste für das Versichertenstammdatenmanagement, die allerdings für den Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) notwendig sind.

Es müsse "mit höchster Priorität" sichergestellt werden, dass alle für das E-Rezept relevanten Dienste funktionieren.

Erst kürzlich berichtete Apotheke Adhoc von einem E-Rezept, dessen Token Rezeptdaten anderer Patienten offenbarte: „Bis zu drei Verordnungszeilen lassen sich in einem "großen" QR-Code zusammenfassen. Dieser QR-Code findet sich dann mit den Adressdaten des Patienten auf der Papiervariante des E-Rezepts wieder. Nun hat sich herausgestellt, dass man einen einzelnen QR-Code auch mit Verordnungszeilen irrtümlich für bis zu drei verschiedene Patienten erstellen kann. Also ein Rezept für drei wildfremde Leute und man kann deren Daten auch noch auslesen. Quelle: https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/e-rezept/e-rezept-qr-code-gibt-daten-von-mehreren-personen-frei/

Außerdem fordert Korf ein besseres Informationsmanagement bei (Teil-)Ausfällen der Telematikinfrastruktur. Dazu seien auch "Meldeketten und Kommunikationsstrukturen zwischen Betreibern der Dienste der TI und den Systemherstellern" notwendig.

Die Frage, ob unter diesen Bedingungen das eRp den Apotheken nutzen wird, möge sich jeder selbst beantworten.    
Wer sich großen Nutzen vom E-Rezept verspricht, sind die Krankenkassen, bekommen sie doch dadurch on-time-Verordnungsdaten der Ärzte zur aktuellen Analyse und statistischen Auswertung. Wozu diese Daten wohl benutzt werden?
Wenn man heute als Praxisinhaber das Für und Wider des E-Rezeptes abwägt, dann kommt man zwangsläufig zu der Antwort: Nein, Danke. 

In dieser Frage sind wir der gleichen Meinung wie der Verband der „Freien Ärzte“: „Wir haben es (noch) in der Hand, unsere effizienten Arbeitsprozesse in den Praxen zu schützen. Was hält uns davon ab, die schnellen analogen Rezepte weiter auszustellen, anstatt auf Sanduhren zu starren?“

Es wäre auch eine betriebswirtschaftlich erfolgreichere Möglichkeit unseres Protestes „Praxis in Not“. Praxisschließungen mindern unser Honorar, das analoge Rezept dagegen wird das Honorar im Vergleich zum eRp nicht verringern.

Mit diesen Empfehlungen wünschen wir Ihnen einen guten Start in das neue Jahr, persönliche Gesundheit und kluge Entscheidungen für Ihre Praxisführung.

Im Namen des Vorstandes des BFAV
Gernot Petzold, Augenarzt

 

Dr. Gernot Petzold, Augenarzt
Dr. Gernot Petzold, Augenarzt