Zum Hauptinhalt springen

Bayern wählt, Gesundheit zählt!

Praxissterben und der Verlust der Sicherstellung – Steht das System vor dem Kollaps?

Der 9. Bayerische Facharzttag wird sich am Mittwoch den 26.07. im Regensburger Jahnstadion mit brisanten, gesundheitspolitischen Themen rund um die ambulante fachärztliche Versorgung in Bayern befassen. Praxissterben und der Verlust der Sicherstellung stehen im Mittelpunkt des Facharzttages, zu dem der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Vertreter der im Landtag vertretenen Parteien ihr Kommen zugesagt haben.

Qual der Wahl?

Die im Oktober in Bayern stattfindenden Landtagswahlen werfen ihre Schatten voraus und so werden Kandidaten der im Bayerischen Landtag vertretenen Parteien im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Bayern wählt – Gesundheit zählt“ zu ihren gesundheitspolitischen Konzepten Rede und Antwort stehen. Das ambulante vertragsärztliche System steht nach Einschätzung vieler Praxisärzte die im BFAV organisiert sind kurz vor dem Kollaps – Sofortmaßnahmen zur Stützung sind überfällig. Dazu bezieht der BFAV-Vorsitzende und in Neumarkt/OPf. niedergelassen Orthopäde Dr. Wolfgang Bärtl in seinem Situationsbericht Stellung.

Der Bayerische Facharztverband BFAV warnt im Zusammenhang mit der anstehenden Gesundheitsreform eindringlich vor einem drohenden Praxissterben und dem Verlust der Sicherstellung auf dem heutigen Standard der ambulanten fachärztlichen Versorgung sowie dem daraus folgenden Kollaps des Systems gerade in ländlichen Gebieten. Nur eine dringend notwendige Angleichung der Honorare im ambulanten Bereich kann die fachärztliche Versorgung der Bürger im Freistaat dauerhaft sichern. Mit dem Verlust der fachärztlichen Versorgung sinkt die Attraktivität der Regionen als Wirtschaftsstandort enorm. Die Facharztpraxen suchen deshalb nach alternativen Strategien, um weiterhin eine qualitativ hochwertige Versorgung jenseits der budgetierten Kassenmedizin anbieten zu können. In Anbetracht der negativen und restriktiven Entwicklung in der Kassenmedizin werden Leistungskürzungen aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des fehlenden Fachpersonals unumgänglich sein. Deshalb wollen die niedergelassenen Fachärzte anlässlich ihres Treffens auch nach alternativen Strategien suchen, wie sie weiterhin hochqualitative fachärztliche Leistungen ohne Budget-Zwänge anbieten können.

 

Reizwort Eigenbeteiligung

Zur Frage: „Kann eine sozial verträgliche Eigenbeteiligung das System der sozialen Krankenversicherung in Deutschland erhalten?“  wird eingangs der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen Stellung nehmen. In seinem Impulsreferat „Steigende Beiträge oder stärkere Eigenbeteiligung: Eine Frage der intergenerativen Gerechtigkeit. Ist die Kostenerstattung ein Weg?“, wird Raffelhüschen sich mit der zentralen Frage unseres Gesundheitssystems nach mehr Eigenverantwortung bzw. Eigenbeteiligung auseinandersetzen.Nach einer aktuellen Umfrage des Ärztlichen Nachrichtendienstes (aend) sind drei Viertel der befragten Ärzte der Meinung, dass eine finanzielle Eigenbeteiligung dazu führen wird, dass Patienten die Ressourcen im Gesundheitssystem angemessener nutzen.
Die ambulant tätigen, selbständigen Fachärzte in Bayern sind Garanten für eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe fachärztliche Versorgung.
Die ansteigende, hohe Nachfrage und die medienwirksame Diskussion um Wartezeiten auf Facharzt-Termine belegen die Bedeutung dieses Versorgungssegments. Darüber hinaus stellt eine gute fachärztliche Versorgung einen nicht zu unterschätzenden regionalen Standortvorteil für die Ansiedlung von Unternehmen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen dar, wie kürzlich von Vertretern der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) festgestellt wurde.
„Trotz der offensichtlichen Bedeutung der ambulanten fachärztlichen Versorgung für die Patienten bläst den niedergelassenen Fachärzten in Bayern bzw. in ganz Deutschland der raue Wind einer Gesundheitspolitik ins Gesicht, die nur den stationären Kliniksektor im Focus hat und auf dem „ambulanten Auge blind ist“, so kritisiert Dr. Wolfgang Bärtl, „diese vom Bund ideologisch gesteuerte Gesundheitspolitik, die letztendlich das ambulante vertragsärztliche System an den Rande des Kollaps bringen und damit den Patienten enorm schaden wird“
So wurde als eine der ersten Amtshandlungen des Bundesgesundheitsministers Lauterbach mit Streichung der von ihm noch Monate vorher hochgelobten Neupatientenregelung dem fachärztlichen Sektor Honorar entzogen, das nun für mehr und schnellere Facharzttermine fehlt. „Trotz galoppierender Inflation verwehrt uns die Politik eine adäquate und kontinuierliche Honoraranpassung bei gesetzlich Versicherten und mittels einer seit mehr als 30 Jahren nicht mehr preisangepassten und veralteten GOÄ,“ lautet die Kritik des Bayerischer Facharztverband-Chefs.
Darüber hinaus stünden mit der geplanten Krankenhaus- und Notfallreform die Klinikinteressen im Vordergrund und weitergehende Dienstverpflichtungen im Notfalldienst für Niedergelassene im Raum, „die von uns definitiv nicht mehr leistbar sein werden.“ Die sogenannte „Ambulantisierung“, d.h. Verlagerung bislang stationär erbrachter Leistungen in den ambulanten Bereich gehe, laut Bärtl, „trotz der erheblichen Kostenersparnisse und der Schonung personeller Ressourcen in der Pflege nur schleppend voran.“ Dabei sei die faire Einbindung der niedergelassenen Fachärzte auf Augenhöhe mit den Kliniken in dieses neue „Hybridsystem“ zwingend erforderlich.

 

Versorgung am Kipppunkt

„Die ambulante fachärztliche Versorgung in Bayern ist an einem Kipppunkt angelangt. der ohne eine schnellstmögliche Anpassung der Honorare an die Inflationsentwicklung und einer Steigerung der Attraktivität über Abbau von Gängelung und Bürokratie sehr bald schon zu spürbaren Leistungseinschränkungen und zum Kollaps der flächendeckenden fachärztlichen Versorgung und insbesondere des Rettungsdienstes führen wird“ warnt Bärtl in Richtung der zur Wahl stehenden Parteien in Bayern.

 

Dauerbaustelle Telematik-Infrastruktur

Als weiteres wichtiges Thema steht die künftige Telematik-Infrastruktur der Praxen auf der Tagesordnung. „Seit 2019 muss sich die Ärzteschaft fast täglich mit einer Telematik-Infrastruktur (TI) beschäftigen, die die niedergelassenen Ärzte nicht wollten, und die bis heute dysfunktional ist. Die den Ärzten Zeit und Geld kostet, die Berufsfreiheit, die ärztliche Schweigepflicht und die Selbstbestimmung der Patienten verletzt,“ analysiert der IT-Beauftragte des BFAV, Augenarzt Dr. Gernot Petzold. Der BFAV decke seit langem die systematischen Schwachstellen der TI auf, erstellte Musterwidersprüche gegen Honorarkürzungen bei Nichtanschluss an die TI und führt Klage gegen den zwangsweisen Honorarabzug bei Nichtanschluss an die TI. „Bislang vergeblich“, wie Petzold in seinem Vortrag erläutern wird. Nichtsdestotrotz setzten führende politische Parteien in Deutschland und die Europäische Kommission den Weg gegen den Schutz der Gesundheitsdaten aller Patienten fort. Mit den Plänen eines europäischen Datenraumes sollen zwangsweise die Gesundheitsdaten aller Patienten in der EU zentral gesammelt werden. Akteuren aus Forschung und Industrie sowie politischen Entscheidungsträgern werde damit ermöglicht, diese elektronischen Gesundheitsdaten zu nutzen (Sekundärnutzung). Ein Widerspruchsrecht der Patienten oder behandelnden Ärzte gegen die Nutzung ihrer Daten besteht nicht. Damit entsteht ein Markt für Gesundheitsdaten, der die kommerzielle Ausbeutung von höchste privaten und sensiblen Gesundheitsdaten der Bürger möglich macht und die ärztliche Schweigepflicht, den Kern der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten, untergräbt und verletzt.

 

„Sparprogramm“  Ambulantes Operieren

Ambulantes Operieren ohne ausreichende Kostendeckung – was hat der Protest gebracht? Dazu informiert der der HNO-Arzt Dr. Klaus Stefan Holler, Neutraubling/Rgb., als Mitglied des BFAV-Vorstandteams. Seit Anfang des Jahres vergeben die HNO-Ärzte keine Termine mehr für Mandeloperationen bei Kindern (Adenotomien und Tonsillotomien). Grund dafür ist laut Holler die „katastrophale Unterfinanzierung dieser Operationen mit Abwertung der Erstattungsbeiträge.“ Der erfahrene Arzt berichtet aus seiner Praxiserfahrung wohin dieser Protest führt und was seine Auswirkungen sind.