GOÄalt und GOÄneu: Die Geschichte der GOÄ-Novelle
Was wir wollen und was nicht? Was ist der Sinn einer eigenen Gebührenordnung? Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist die amtliche "Preisliste" für den freien Beruf des Arztes. Ein wesentliches Merkmal eines freien Berufes ist die Tatsache, dass die Angehörigen eines professionellen Berufsstandes selbständig darüber verfügen können, welche Entlohnung sie für ihre fachliche Tätigkeit erhalten. Um zu gewährleisten, dass die Klienten, Mandanten oder in unserem Fall die Patienten auf einen Preis vertrauen können, die der (Dienst-)Leistung des freien Berufes wert ist, hat sich der freie Beruf freiwillig der Preisfestsetzung durch den Gesetzgeber unterworfen.
"Die Deprofessionalisierung des Arztberufes führt aber zum Verlust der Selbständigkeit und zur Abhängigkeit in allen Bereichen" (aus Paul U.Unschuld, Ware Gesundheit-Das Ende der klassischen Medizin, C.H.Beck-Verlag, 2011).
Die GOÄ ist also eine mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Rechtsverordnung der Bundesregierung.
In § 11 der aktuellen Bundesärzteordnung wird bestimmt:
"Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Entgelte für ärztliche Tätigkeit in einer Gebührenordnung zu regeln. In dieser Gebührenordnung sind Mindest- und Höchstsätze für die ärztlichen Leistungen festzusetzen. Dabei ist den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen."
Die GOÄ regelt die Vergütung von selbständigen ärztlichen Leistungen, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt wird. Die GOÄ gilt nicht für Leistungen, die durch andere Berufsgruppen (z.B. Krankengymnasten) abgerechnet werden. Durch Bundesgesetz abweichende Vergütungsregelungen gehen der Anwendung der GOÄ vor, z.B. der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) und deren Vergütungsregelungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung oder die Vergütungsregelungen für die Verbände der Unfallversicherungsträger oder für die Träger der freien Heilfürsorge.
Die GOÄ gilt aber auch für Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen, wenn diese Leistungen nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, der Versicherte vorher schriftlich zustimmt und er auf die Pflicht zur Übernahme der Kosten hingewiesen wurde (Kommentar zur GOÄ, D.Brück, Deutscher Ärzte-Verlag Köln, 2015).
Die Geschichte der heutigen GOÄ
Die GOÄ trat am 1.April 1965 in Kraft. Überarbeitungen dieser GOÄ fanden bisher am 12.11.1982, am 20.12.1983, am 20.12.1984 und am 3.6.1988 statt. Letztmalig wurde die GOÄ mit der Vierten Verordnung am 18.12 1995 in unwesentlichen Teilen geändert.
Seitdem wurden weder Veränderungen der Leistungslegenden oder der Bewertung von Leistungen vorgenommen (Punktwert 11,4 Pfennige oder 5,82873 Cent). Es wurden keine veralteten, nicht mehr erbrachte Leistungspositionen gestrichen oder neue Leistungen in das Gebührenverzeichnis aufgenommen. Seit 1.1.1996 fand kein Ausgleich der Inflationsrate statt.
Seit vielen Jahren wird von ärztlicher Seite eine Novellierung der GOÄ gefordert. Bereits 2005 mahnte die Bundesärztekammer eine grundlegende Reform der GOÄ an. Im November 2009 fasste die damalige Bundesregierung (Koalition CDU/CSU/FDP) den Beschluss, eine Novellierung der GOÄ auf den Weg zu bringen. Mehrere Anläufe dazu scheiterten aber. Im November 2013 kam es zu einer Rahmenvereinbarung zur Novellierung der GOÄ zwischen dem PKV-Verband und der Bundesärztekammer. Im September 2014 berichtet der BÄK-Präsident Montgomery, dass sich die Reform der GOÄ auf der Zielgeraden befände: "....wir befinden uns in der letzten Runde der Detailverhandlungen". Anfang März 2015 erläutert der Verhandlungsführer der BÄK Windhorst: "...wir sind noch nie so weit gewesen...über das Vergütungsniveau lässt sich aber noch nichts sagen..."
Am 27.3.2015 übergibt die BÄK ein Informationspaket von den TOP 400 GOÄ-Ziffern dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG).
Die BÄK und der PKV-Verband erklären, dass sie ihre Arbeit bis zum 1.10.2016 abschließen wollen.
Auf dem Ärztetag im Mai 2015 in Frankfurt werden weitreichende Beschlüsse zur GOÄ-Novelle gefasst
- Die Forderung nach einem Inflationsausgleich in der GOÄ wurde von der Mehrheit der Delegierten abgelehnt (Windhorst: "die Mehrkosten von 10 Mrd. Euro sind den Verhandlungspartnern nicht vermittelbar").
- Der Antrag nach mehr Transparenz in den Verhandlungen zwischen BÄK und PKV-Verband wird abgelehnt.
- Es wird die Forderung des BMG bekannt, dass in der Novellierung der GOÄ ein Konsens zwischen BÄK, PKV und Beihilfe herzustellen sei.
- Windhorst erläutert den Delegierten, dass jede Detaillösung der Novelle nur dann gilt, wenn Einigkeit über das gesamte Reformpaket besteht.
Ende 2015 wird der Unmut unter den Ärzten und in den ärztlichen Verbänden über die mangelnde Transparenz der Verhandlungen zwischen BÄK und PKV-Verband immer lauter. Der Bundesärztekammer fehle das Mandat der Ärzteschaft zu diesen weitreichenden GOÄ-Verhandlungen.
Anfang Januar unterzeichnen in wenigen Tagen mehr als 6000 Ärzte den Aufruf des Bundesverbandes der niedergelassenen Fachärzte (BVNF) die GOÄ-Novelle in der bis dahin bekannt gewordenen Fassung nicht weiter zu verfolgen.
Schließlich fordern drei Landesärztekammern einen außerordentlichen Ärztetag zur GOÄ-Novelle. Der findet am 23. Januar in Berlin statt. Mit einer fragwürdigen Sitzungsleitung von Ärztekammerpräsident Montgomery wird schon zu Beginn eine Redezeitbegrenzung auf 2 min beschlossen, die Rednerliste geschlossen, obwohl noch mehr als die Hälfte der Redner keine Gelegenheit hatte, ihre Stellungnahmen abzugeben. Der größte Teil der kritischen Anträge wurde gar nicht behandelt. Einzig Elmar Wille, Augenarzt aus Berlin und Vizepräsident der Ärztekammer Berlin konnte eine sehr fundierte kritische Analyse des Entwurfes der GOÄ-Novelle vorbringen.
Im Nachgang dieses außerordentlichen Ärztetages macht die Delegierte der BÄK Susanne Blessing am 4.3.16 beim Verwaltungsgericht Berlin eine Klage gegen die Beschlüsse des außerordentlichen Ärztetages anhängig. Der Präsident der BÄK Montgomery wird als Handelnd haftender in die Klage einbezogen.
Kurzfristig wird ein Treuhandkonto errichtet, das innerhalb weniger Tage mit einem knapp 6stelliger Eurobetrag von der Ärzteschaft für die Führung dieses Prozesses gegen die Bundesärztekammer und ihres Präsidenten Montgomery aufgefüllt wird.
Am 17.3.16 stoppt die Bundesärztekammer-Spitze die GOÄ-Novelle wegen "Unstimmigkeiten in den Leistungslegenden". Das Bundesministerium für Gesundheit und der PKV-Verband werden nach der Abendsitzung informiert. GOÄ-Verhandlungsführer Windhorst tritt zurück.
Am 21.4.16 veröffentlicht der Bundesärztekammer-Delegierte Rüdiger Pötsch eine Resolution zum Rücktritt von Bundesärztekammer-Präsident Montgomery wegen völligen Versagens bei der GOÄ-Reform.
Am 25.4.16 übernimmt Montgomery die Verhandlungsführung und erklärt die GOÄ-Novelle zur Chefsache. Hartmann-Bund Chef Klaus Reinhardt wird neuer Vorsitzender des Gebührenordnungsausschusses der BÄK.
Welche Inhalte aus der GOÄ-Novelle sind eigentlich bis heute veröffentlicht worden?
Der aktuelle Stand der Leistungslegenden und der Leistungsbewertung ist weiterhin unter Verschluss.
In einer vertraulichen Aussendung der BÄK an die Delegierten kurz vor dem außerordentlichen Ärztetag am 23.1.16 wurden wesentliche Änderungen der Bundesärzteordnung (BÄO) und des Paragrafenteils der GOÄ bekannt.
- In § 11 der BÄO "sind nicht unterschreitbare Gebührensätze für die ärztlichen Leistungen festzusetzen". Das heißt aber nichts anderes, als dass der Regelsatz eine feste Gebühr sein wird (Einfachsatz). Nur bei " besonderer, objektiver Schwere im Einzelfall kann für abschließend bestimmte Behandlungsumstände eine Steigerung des Gebührensatzes....auf das Zweifache vorgesehen werden. ..Die Empfehlungen der Gemeinsamen Kommission nach
- §11a sind zu berücksichtigen." Damit sind aber Steigerungsätze, wie sie bisher bei einer individuellen Rechnungstellung üblich waren, in Zukunft verwehrt. In § 11a der BÄO wird näheres zu der erwähnten Gemeinsamen Kommission (GeKo) ausgeführt. Die GeKo besteht aus 4 Vertretern der BÄK, 2 Vertretern des PKV-Verbandes und 2 Vertretern der Beihilfe. Damit wird erstmals Parität im Verhältnis von ärztlichen und nichtärztlichen Vertretern hergestellt. Der bisherige Konsultationsausschuss der BÄK besteht aus 4 ärztlichen und 3 nichtärztlichen Vertretern. Die Aufsicht über die GeKo führt das Bundesministerium für Gesundheit. Aufgaben der GeKo sind (Tab.1):
- Anpassung der GOÄ an den medizinischen Fortschritt und zur Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung
- Beseitigung von Über- und Unterbewertungen
- Negativ- und Positivliste für Behandlungsumstände, bei denen eine Steigerung auf das 2fache erlaubt und nicht erlaubt sein wird
- Analogziffern für neue Behandlungs- und Diagnoseverfahren
- Interpretation der Abrechnungsbestimmungen
- Umgang mit Informations-, Beratungs-, Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten
Die GeKo beschließt einvernehmlich und veröffentlicht die angenommenen Empfehlungen. Findet ein Vorschlag kein Einvernehmen, legt die GeKo den Vorschlag dem Bundesministerium für Gesundheit vor.
Damit bekommt die GeKo weitreichende Entscheidungsbefugnis. Somit können die Vertreter von PKV und Beihilfe ihre Vorstellungen und Interessen in die Struktur und Anwendung der ärztlichen Gebührenordnung direkt einbringen.
Das ist ein Paradigmenwechsel in einer Gebührenordnung eines freien Berufes und wird wesentliche Veränderungen in den ärztlichen Rechnungsstellungen zur Folge haben. Die GeKo bekommt die Aufgabe der Evaluation und Kontrolle der GOÄ-Abrechnungen der Ärzte. Im Falle von "unerwünschten und unerwarteten Honorarentwicklungen" sollen geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Die GOÄ gilt aber nicht nur für Versicherte der PKV, sondern für die meisten ärztlichen Leistungen außerhalb des GKV-Kataloges. Somit nimmt die GeKo auch Einfluss auf alle Wahlleistungen (IGeL.) der GKV-Versicherten.
Allein die Tatsache, dass für Wahlleistungen kein individueller Steigerungssatz mehr angewandt werden kann, würde die Struktur und die Akzeptanz dieser Wahlleistungen erheblich verändern.
Die Grundstruktur der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte wird verlassen. Dafür wird eine Gebührenordnung aufgebaut, die im Paragrafenteil sehr an den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erinnert.
Wesentliche Elemente einer freiheitlichen Gebührenordnung, die Voraussetzung einer vertrauensvollen Arzt-Patientenbeziehung sind, finden sich in der GOÄ-Novelle nicht mehr oder werden sehr stark eingeschränkt (individuelle Steigerung 1,0 - 3,5fach, Analogbewertung, abweichende Honorarvereinbarung).
Ohne Not werden die essentiellen Grundlagen der GOÄ geopfert - lange bevor es zu einer Einigung zur Bewertung der GOÄ-Ziffern gekommen ist. Aber auch wenn es zu einer augenscheinlich akzeptablen Einigung bei der Leistungsbewertung kommen sollte, können die Änderungen im Paragrafenteil die Verbesserungen in der Leistungsbewertung wieder aufheben.
Was wollen wir?
- Eine moderne Gebührenordnung, die in den Leistungslegenden aktualisiert ist und den derzeitigen Stand der medizinischen Diagnostik und Therapie widerspiegelt. Die Bewertung der Leistungen soll betriebswirtschaftlich kalkuliert sein und den Kostensteigerungen der letzten 20 Jahre ohne GOÄ-Anpassung Rechnung tragen.
- Eine offene Gebührenordnung, die es möglich macht neue Leistungen schnell und unbürokratisch mit Hilfe einer Analogbewertung in den medizinischen Alltag einzuführen.
- Eine einfache Gebührenordnung, die es dem Arzt ermöglicht, die Rechnungshöhe über differenzierte Steigerungen eines Einfachsatzes individuell dem Behandlungsfall anzupassen.
- Eine freie Gebührenordnung, mit der Ärztinnen und Ärzte ohne weitere Reglementierungen einfach wie bisher Privatliquidationen erstellen können.
Was wollen wir nicht?
- Änderungen der Bundesärzteordnung und der allgemeinen Bestimmungen der GOÄ (Paragrafenteil), die die Struktur der GOÄ vollständig verändern
- Eine gemeinsame Kommission aus Vertretern der Privatversicherung, Beihilfe und Ärzteschaft, die weitreichende Befugnis in der Gestaltung der GOÄ bekommen wird (Analogziffern, Steigerungsmöglichkeiten, Vermeidung unerwünschter und unbegründeter Honorarentwicklungen...)
- Eine Pauschalisierung der GOÄ mit einem generellem Einfachsatz und der einzigen Möglichkeit der Steigerung auf das 2fache in seltenen definierten Ausnahmen
- Positiv- und Negativliste für Steigerungsmöglichkeiten
- Generelle vorheriger Begründungen beim Abschluss von abweichenden Honorarvereinbarungen
- Wenn aus politischen Gründen die Novellierung der GOÄ an eine Änderung der Bundesärzteordnung und des allgemeinen Paragrafenteils der GOÄ geknüpft wird, so wäre das eine unbillige, nicht legitime Forderung der Regierung und die Bundesärztekammer sollte dann auf eine GOÄ-Novelle vollständig verzichten.
Diese GOÄ-Novelle wird unsere wirtschaftliche, freiberufliche Existenz mehr beeinflussen als jeder Honorarverteilungsmaßstab und jede EBM-Reform. Eine GOÄ-Novelle muss gemeinsam von der gesamten Ärzteschaft erarbeitet und dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt werden und nicht von einigen wenigen, die sich das Mandat dazu selbst gaben.
Dr.Gernot Petzold
Augenarzt
Schatzmeister BVNF und BFAV
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