7. Bayer. Fachärztetag: »Es reicht uns«
Gesetzliche Vorgaben, Bürokratie und Gängelung zersetzen mehr denn je die vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehung. Die vergangenen Jahre waren in der Gesundheitspolitik von einer nur noch mit Mühe zu überschauenden Vielzahl von gesetzlichen Eingriffen in das deutsche Gesundheitssystem geprägt. Durch immer kleinteiligere Regelungen versuchte der Bundesgesundheitsminister Einfluss auf die tägliche Arbeit der Ärztinnen und Ärzte in den Praxen zu nehmen. Die Auswirkungen sind verheerend. Zur Eröffnung bringt BFAV-Vorstandsmitglied Dr. Peter Jung, Frauenarzt aus Haßfurt das Kernproblem der Politik auf den Punkt: „Ihr hört nicht zu“.
TSVG, Telematik und Transformation kurz TTT waren die drei Reizworte, die den 7. Bayerischen Fachärztetag in Regensburg beherrschten. Die mit fast 100 Kollegen gut besuchte Veranstaltung in der Continental-Arena zeigt: Der Protest gerade der niedergelassenen Mediziner gegen die fortschreitenden Eingriffe in ihre Praxen und zunehmende Bürokratie wird immer lauter. Die Suche nach Auswegen aus dem Dilemma wird intensiver.
Auf großes Interesse stieß der Vortrag von BFAV-Sprecher Dr. Wolfgang Bärtl, der sich für eine kluge Strategie zur Umsetzung der TSVG unter exakter Abwägung von „Chancen und Risiken“ einsetzt. Vor dem Hintergrund der für Fachärzte in der Grundversorgung verheerenden Wirtschaftsdaten mit Fallwerten von 81% aktuell im Vergleich zu 1992 bei gleichzeitigen Kostensteigerungen um über 200 Prozent im selben Zeitraum sähen viele GOUDAH-Ärzte ihre Praxen „im Bermudadreieck einer maximalen Bürokratie“ des TSVG versinken. Bärtl warnt, das Gesetzeswerk verursache massive Nebenwirkungen. Die Belohnung für Neupatienten schade den Chronikern. Dies sei ein „sozial nicht verträglicher Webfehler im Gesetz“, wobei er davon ausgeht dass einige Praxen zunächst gewinnen „…aber Vorsicht das ist ein Tauschgeschäft auf die Zukunft“ so meint der BFAV-Sprecher mit Blick in die Zukunft. . Denn die TSVG-Bereinigung werde mit zeitlicher Verzögerung auf die Praxen umgelegt: „Was im ersten Jahr versemmelt wird, also wer mehr Fälle abrechnet, schneidet sich ins eigene Fleisch“ wirbt Bärtl bei den Kollegen um Mäßigung. Ziel müsste es sein, den vollen Punktwert zu erhalten. Bei der offenen Sprechstunde sollte die man die Maximalmarke von 17,5% Zuwachs „nicht reißen“. In der anschließenden Diskussion zeigen sich gerade junge Kollegen zutiefst frustriert und hadern mit der Niederlassung in eigener Praxis.
Datendschungel
Zweiter Themenschwerpunkt im eng getakteten Programm bildete der Umgang mit der Teleinfrastruktur in den Praxen unter rechtlichen Aspekten vorgetragen von Rechtsanwalt Dr. Johann Semmelmayer. Gefolgt von Prof. Dr. Harald Mathis vom Frauenhoferinstitut, der zusammen mit Martin Tschirsich Senior IT Security Analyst, modzero AG den Blick auf die Sicherheitslücken der Telematik-Infrastruktur richtet.
Semmelmayer streift kurz die rechtlichen Aspekte der Telematik-Infrastruktur und rechnet die Kostenerstattung und Sanktionen gegeneinander auf. Auch der Jurist beklagt die unübersichtliche Paragraphenflut. Widerspruch sei gegen jeden einzelnen Honorarabzug notwendig, mit Blick auf die Unvereinbarkeit der aktuellen Gesetzgebung mit der Verschwiegenheitspflicht in §203 StGB.
Mathis sieht das Problem bei der KBV als „des Pudels Kern.“ Unter Bezug auf die jüngsten Erklärungen der Körperschaft beklagt er die Vernebelungstaktik der Körperschaft. „Hier wird Dichtung und Wahrheit vermischt.“ Mit Blick auf die gematik äzt der TI-Spezialist vom Frauenhoferinstitut, viel Geld werde hier für „komische Hardware“ ausgegeben. Falsches Wissen sei im Umlauf. Die Sicherheitsarchitektur sei nicht mehr zeitgemäß.
Tschirsich nimmt Spahns TI-Gesetzgebung „hoch“ und forscht in seinem Vortrag nach, wo die konkreten Bedrohungen zwischen Consumer-Zone in der Praxis, dem Konnektor mit 150.000 Teilnehmern und der zentralen Zone der gematik liegen. Dahinter stünden vier Anbieter in der Providerzone und 70 Millionen Patienten mit der eGK. Am gefährlichsten seien die Angriffe zwischen der gematik und der eGK-Ebene einzustufen, so beklagt Tschirsich eindringlich: „Wir brauchen Vertrauensanker.“ Sicherheit sollte nicht den Markt-Mechanismen überlassen bleiben, sondern allein den Patienten und Ärzten, plädiert er für eine „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zur Stärkung der ärztlichen Schweigepflicht.“
In der anschließenden Diskussionsrunde vertieft BFAV-Vorständin Dr. Ilka Enger die Kritik aus ärztlicher Sicht ironisch:„Wir haben oft digitale Lösungen aber kein Problem dazu.“ Sie präsentiert dazu eine Liste von Datenskandalen der vergangenen Monate. Doch der Frust sitzt tiefer. Die gesetzliche Vorgaben wären mit einer unabhängigen selbständigen Tätigkeit in freien Arztpraxen kaum vereinbar sind. Terminservicestellen, Ausdehnung der Sprechstundenzeiten und offenen Sprechstunden seien Instrumente - so glaubt man in der Politik irrtümlich – mit denen man dem Problem der wegbrechenden ärztlichen Versorgung – vor allem in der fachärztlichen Grundversorgung Herr werden könne. Die Politik folge damit der „irrigen Annahme die ambulante Versorgung nur noch durch entsprechenden Druck aufrechterhalten zu können“, moniert die BFAV-Vorsitzende. BFAV-Schatzmeister, Augenarzt Dr. Gernot Petzold „will unter diesen Bedingungen nicht mehr weiterarbeiten“. Er wagt aber gleichzeitig mit der Ankündigung des dritten Teils der Veranstaltung einen optimistischen Ausblick.
Jenseits der Verfassung
Dieser Einschätzung stimmt Prof. Dr. jur. Helge Sodan, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin, nur bedingt zu. Anhand der aktuellen Gesetzgebung zeigt Sodan in seinem Vortrag exemplarisch den verfassungsrechtlichen Rahmen für Reformbestrebungen im Gesundheitswesen auf und plädiert nachdrücklich für eine Deregulierung im Gesundheitsrecht. Er weist als Keynote-Speaker im Themenblock „Wege aus der Staatsmedizin“ gangbare Alternativen. Er attestiert der Gesundheitspolitik eine „permanente Novellierungswut“ mit einer fortgesetzten Schwächung der Selbstverwaltung trotz gegenteiliger Beteuerungen des Gesetzgebers Reglementierte Sprechstundenzeiten sieht er als „Ausdruck permanenten Misstrauens der Politik gegenüber den Ärzten.“ Das „Totschlagargument“ zum Grundrechtseingriff der Berufsfreiheit sei letztlich die Sicherung der finanziellen Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Reformvorschläge wie Einzelvergütung, Behandlungsberechtigung für alle approbierten Ärzte, Stärkung der Freiberuflichkeit im Wettbewerb mit Deregulierung, oder Bürokratieabbau sind für Sodan die Lösung. Doch ein Ausstiegsszenario mit parlamentarischer Unterstützung sei in Deutschland „fernab der politischen Realisierung“.
Der Praxisberater, Johann Schaffer zeigt mit Blick auf die Situation im Nachbarland Österreich schließlich Chancen und Risiken bei der Umwandlung einer Kassenarztpraxis in eine Privatpraxis auf und konkretisiert anschliessend die Grundlagen zum Ausstieg. Er berichtet von der „Zweiklassenmedizinergesellschaft“ in Österreich mit Kassen- und Wahlärzten. Der Ausstieg sei „nicht mit Zorn und Ärger“ zu meistern, sondern sollte auf sorgfältiger Datenanalyse, Patientenbefragung zur Situation und Zukunft für die Patientenbindung, mit einem Marketingcheck untermauert werden. Die Praxis sollte „nicht in der toten Mitte“ ohne Alleinstellungsmerkmal betrieben werden.
Als Schlussredner fasst Bärtl die Ergebnisse der Veranstaltung zusammen und dankt für die aktive Teilnahem der 100 Kollegen. Der 7.Fachärztetag stärke „die DNA der Freiberuflichkeit“ in der Ärzteschaft. Die Kassenärztliche Vereinigung leide insoweit an einem „Gendefekt“. Er appelliert aber an den Realismus in der Kollegenschaft vor der schwierigen Entscheidung und bittet um weitere Unterstützung der Verbandarbeit des BFAV auch im 10. Gründungsjahr

